Select your language

Top Stories

NHL Observer

Es ist eine absurde Realität der NHL: Mit Steuer- und Standortvorteilen kann man in der um Wettbewerbsparität bemühten NHL einen entscheidenden Vorsprung erschaffen.  

Dank Steuervorteilen zu einem Wettbewerbsvorteil – das ist in der NHL ein Thema, welches gerne unter den Teppich gekehrt wird. Haben jene NHL-Clubs aus Bundesstaaten, die Steuererleichterungen ermöglichen oder gar keine Einkommenssteuern erheben einen strukturellen und strategischen Vorteil? Haben Teams – beispielsweise jene aus Florida – genau deswegen Jahr für Jahr die besten Argumente bei der Rekrutierung von Topstars? 

Die Steuergesetze geschickt genutzt

Die Florida Panthers und vor einigen Jahren auch die Tampa Bay Lightning waren in den letzten zehn Jahren Dauergäste in den Stanley-Cup-Finals. Beide haben sich je dreimal in Folge für die Finalserie qualifiziert. Eine Folge des Standortvorteils dank Steuererleichterungen? 

Einige Fälle erregte vor einigen Jahren die Gemüter und beschreibt das Dilemma vieler NHL-Clubs deutlich. Hier ein Beispiel: Alexander Radulov unterschrieb 2016 einen Einjahresvertrag (5,75 Mio Dollar) bei den Montréal Canadiens – eine Saison später wechselte er nach Dallas für 5 Jahre und 31,25 Mio US-Dollar (6,25 Mio US-Dollar pro Jahr). Montreals damaliger GM Marc Bergevin offerierte ihm einen ähnlichen Deal, aber der Russe entschied sich für die Dallas Stars. Ein wichtiger Grund, neben der Vertragslaufzeit, war der Steueraspekt: Während er in Montreal deutlich weniger Nettogehalt behalten hätte, profitierte er in Texas von Steuerfreiheit – ein klarer finanzieller Vorteil verglichen mit den hohen Steuersätzen in Kanada .

Auch die Tampa Bay Lightning machen sich die Steuergesetze in Florida zunutze: Da sind Topstars oftmals bereit, niedrigere Bruttogehälter zu akzeptieren und so in einem „Winning Team“ mit sportlichen Perspektiven zu spielen – weil sie in Florida kaum Einkommenssteuer zahlen müssen. De facto bleibt ihnen aber ähnlich viel Nettogehalt im Vergleich zu anderen NHL-Grossverdienern, die in US-Staaten oder Provinzen Kanadas ohne Steuererleichterungen unter Vertrag sind. 

Gary Bettman: „Übertriebener Fokus auf das Thema Steuerdebatte“

Was aber auch deutlich gesagt werden muss: Allein dieser Aspekt ist keine Erfolgsgarantie bei der Kaderbildung für das Management. Tampas GM Julien BriseBois und Bill Zito (GM Florida Panthers) verstehen es meisterhaft, diese Situation zu nutzen und sind sehr kompetent, wenn es um die Kaderzusammenstellung geht. 

Nichtsdestotrotz muss betont werden: Die Kapitaleffizienz beeinflusst klar die Wettbewerbsbalance – weit über die individuellen Fälle hinaus. Dies war während der Stanley-Cup-Finalserie wieder zu einem Thema geworden, weil in diesem Sommer viele Topstars der NHL zu Free Agents werden oder ihre Verträge auslaufen. NHL-Commissioner Gary Bettman wurde darauf angesprochen bei einem öffentlichen Auftritt. In einem Interview mit dem ehemaligen Spieler Paul Bissonnette auf TNT reagierte Bettman jedoch abwehrend, als dieser die ungleiche Steuerbelastung in der NHL ansprach. Er wies die Steuerdebatte als „lächerlich“ und „übertrieben“ zurück. Spieler würden sich bei Vertragsentscheidungen nicht mit Steuertabellen befassen. Dies stimmt natürlich nicht, wie viele Beispiele belegen. 

Nettogehalt ist bei der Clubwahl nicht das alleinige Argument

Wo er jedoch recht hat: NHL-Profis haben noch andere Parameter, welche die Entscheidungen beeinflussen. So ist das finanzielle Gesamtpaket nur ein Aspekt. Dazu kommen bei der Entscheidungsevaluation noch folgende Parameter zum Tragen: Die Vertragsklauseln, die familiäre Situation, die Infrastruktur, sportliche Perspektiven, Teamchemie, das Markenimage des Clubs, das Medienumfeld, der Lebensstil und weitere Standortfaktoren. Für NHL-Profis ist die Clubauswahl also kein rein finanzieller Entscheid – entscheidend ist das Gesamtpaket, wo sowohl harte Faktoren wie Gehalt, Steuern und Vertragsinhalte als auch weiche Faktoren wie Lebensstandard, Teamidentifikation, Privatsphäre, Standortsicherheit und Zukunftsperspektiven ausschlaggebend sind (siehe auch in einem ausführlichen Bericht hier). 

Und dennoch: Die Standortwahl in der NHL ist längst nicht mehr rational oder leistungsbezogen, sondern steuerlich und emotional getrieben. Steuervorteile verzerren definitiv den Wettbewerb, wenn die Verhältnisse in Florida oder Nevada (Vegas Golden Knights) mit jenen in Kanada oder New York, Kalifornien und anderen US Bundesstaaten verglichen werden. Tatsache ist dies, wenn Teams mehr offerieren müssen, um mit Offerten aus den Steueroasen mithalten zu können.  Original-Six-Teams wie die Toronto Maple Leafs oder die Montréal Canadiens setzen im Direktvergleich mit beispielsweise den Florida Panthers zwar viel mehr um im globalen und besonders im lokalen Markt, aber dies hat auf das direkte Salär eines NHL-Profis keine Auswirkung. Ein Beispiel: Sam Bennett verdient aktuell weniger als Mitch Marner. In einer rationalen Sportwelt würde er in einen grossen und bedeutenden NHL-Markt wechseln. 

Fazit: NHL-Commissioner Gary Bettman versucht zwar, das Problem herunterzuspielen – doch sind die Steuererleichterungen eine institutionelle und strukturelle Realität. Die Liga sei in einer verzerrten Realität gefangen, sagen viele Experten und auch einige besorgte General Manager. 

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

About this

Do you already know...?