NHL Observer

Die Carolina Hurricanes haben dank sportlichem Erfolg - aber auch mit Marketingmassnahmen endlich eine Euphorie im „NHL Niemandsland“ entfacht. Und Nino Niederreiter profitiert mit.

Die Carolina Hurricanes gehören zu den grossen Gewinnern der Saison. Sie krönten diese, die bereits nur schon aufgrund der neu wieder entfachten Euphorie ein Erfolg war, zudem nun sportlich mit der Playoffqualifikation. Profitiert hat auch Nino Niederreiter, der mitten in der Phase, als die „Canes“ zum sportlichen Höhenflug ansetzten, zu ihnen stiess. Der Bündner wird aber nicht nur der sportlichen Situation wegen begeistert sein, dass er nun in Raleigh die Skates schnürt und an den Playoffs teilnimmt – während seine Ex-Kollegen in Minnesota (mit Kevin Fiala) zuschauen müssen. Er ist nun sogar „mittendrin statt nur dabei“ bei einer erstaunlichen Entwicklung im gesamten Umfeld der Carolina Hurricanes. Denn wer hätte das gedacht, dass ausgerechnet die Carolina Hurricanes – gewissermassen die „grauen Mäuse“ der Liga im NHL-Niemandsland – für heisse Diskussionen und Polemik unter den Eishockeyfans und –fachleuten sorgen. Und damit auch noch neue Fans generierten. Der Grund: Das kollektive Jubelverhalten der Spieler nach siegreichen Spielen. Was einige als „Fun“ und „teeniehaftes Verhalten“ abtun, hat aber einen handfesten marketing-strategischen Hintergrund.

Die Videos mit den choreografierten kollektiven, flashmobartigen Jubelszenen der Carolina Hurricanes Spieler gingen und gehen noch immer viral. Manche dieser kreativen Jubelszenen sind sogar ganz gut gelungen. Den Fans gefällt es und hat tatsächlich die „Canes“ für ein junges Publikum wieder attraktiv gemacht, das in der Region Raleigh eher anderen Sportarten zugewandt ist. Die PNC Arena war vor einigen Monaten noch ein eher trister Ort mit vielen leeren Plätzen und – trotz nett anzusehenden Cheerleadern im Einsatz – mit überschaubarer Stimmung und daher ein eher wenig einschüchternder Ort für die Gästemannschaften. Doch jetzt ist die Hurricanes-Heimstätte auf einmal „the place to be“ für Sportfans in der Grossregion Raleigh. Die Stimmung im Stadion ist seit einigen Monaten klasse.

Sportlicher Höhenflug gepaart mit Marketingaktionen

Natürlich spielt bei dieser Entwicklung auch der (unerwartete) sportliche Erfolg eine Rolle. Das junge, sympathische Team produzierte in den letzten Monaten eine erstaunliche Siegesserie. Aber ein grosser Verdienst für das Entfachen der neuen Liebe für die „Canes“ bei neuen Zielgruppen, beziehungsweise auch für die Erweiterung der existierenden Anspruchsgruppe gebührt der Marketingabteilung. Speziell das in Carolina neu überdachte Arena Marketing zeigt Wirkung: Die Fanbasis wurde nicht verscheucht und gleichzeitig konnten neue, vornehmlich jüngere Zuschauer und Familien wieder mehr dazu bewegt werden, die „Canes“ zu unterstützen. Der Identifikationsfaktor ist gestiegen und mit absolut gelungenen Aktionen wie die „Whalers Night“ konnte man Begeisterung entfachen und auch das eigene Merchandising pushen. Es war faszinierend zu beobachten, wie die Fans mitgingen und wie viele junge Zuschauer, welche noch nie in Berührung kamen mit der Clubgeschichte, die Hartford Whalers Vintage- und Throwback-Artikel kauften und beim legendären „Brass Bonanza“-Lied bei den Toren feierten. Fakt ist: In Carolina hat man es geschafft, sich endlich in den Vordergrund zu drängen und Interesse auch ausserhalb der eigenen Fanbasis zu erzeugen. Die Playoffpräsenz ist deshalb zusätzlich von unschätzbarem Wert, weil sie die Begeisterung und Identifikation nun potenziert und den Fans, die jetzt schon von einer „unvergesslichen Saison“ reden, einen noch grösseren Erinnerungswert gibt. Und was ist für die Kundenbindung stärker als starke, emotionale Erlebnisse?

Nicht denkbar in einem NHL Traditionsmarkt?

Kundenbindung ist eminent wichtig in einem Markt, wo Eishockey zu den Nischensportarten gehört und das NHL Team Carolinas seit langer Zeit sowohl in der eigenen Grossregion und noch weniger woanders keine Emotionen weckte. Wenn in Montreal oder Toronto solche Szenen und Marketing-Aktionen geplant wären, würde man die Stirn runzeln. Das hat nicht nur mit einem eher „klassischen Verständnis“ von Eishockeyerlebnis zu tun, da die meisten Fans im Stadion vorwiegend wegen des Eishockeys und in zweiter Linie wegen der Show kommen. Die Stadien sind voll besetzt und es gibt lange Wartelisten für Dauerkarten. Dennoch ist man natürlich auch in den traditionellen Eishockeymärkten darauf bedacht, den Showeffekt hoch zu halten. Der Unterschied besteht jedoch klar in der „Intension“ des Besuches und in der Fachkenntnis der Zuschauenden. Anders in Carolina oder beispielsweise in Las Vegas, wo der Besuch eines NHL Spiels mit einer anderen Erwartung verknüpft ist. Eine NHL Partie hat den Charakter eines Events mit starken Showeinlagen und Entertainment.

Meinungen gehen weit auseinander

Kein Wunder also, gehen die Meinungen bezüglich der kollektiven Post Game Jubelszenen der „Canes“-Mannschaft weit auseinander: Ja, die Diskussion hat sogar Polemik-Potenzial entfacht. Viele Eishockey-Fachleute verstehen den Hintergrund, andere wiederum finden, man zerstöre das Wesen des NHL Eishockeys mit so kindischem Verhalten. Der streitbare und schillernde und dennoch sehr konservativ denkende Don Cherry beispielsweise. Er kritisiert heftig das Verhalten der Spieler, die sich so diskreditieren würden.

Die Carolina Hurricanes feiern Siege ausgefallen - nicht zur Freude von Don Cherry und Brian Burke.
SPortsnet

Die „Canes“ und einige Unterstützer/innen der Hurricanes-Marketingidee antworteten dem in Kanada berühmten Don Cherry („Grapes“) mit Humor und fragten, ob denn seine farbenfrohen mit zum Teil auffälligen oder kindlichen Motiven geschmückten Anzüge denn Seriosität vermitteln würden. Ausserdem wird oft – auch von eher traditionell geprägten Fachleuten – eingeräumt, dass die Liga nicht nur neues, junges Zielpublikum und neue Anspruchsgruppen brauche, sondern auch die Akteure, die Spieler, immer jünger würden. Da müsse man mit der Zeit gehen, auch wenn Tradition und ein gutes Verhaltensmuster nach wie vor wichtig seien. Das zeige sich unter anderem auch wie unterschiedlich die Bekleidung der NHL Spieler vor und nach den Spielen (Anzug, Dresscode) im Vergleich zu den NBA Basketballern (Casual bis Rapper-Stile) sei und bei den Reaktionen und Sanktionen, wenn sich einer ausserhalb der Arena schlecht benimmt.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der Fachpubikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem leitete er auch die Fachpublikationen Slapshot (2003-2006, 2013) und Top Hockey (1999-2003, 2006-2012), war zudem lange Jahre für den Spengler Cup tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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Was passiert hinter den Kulissen der NHL und was steckt hinter den Geschichten, die uns bewegen? NHL Insider Joël Ch. Wuethrich öffnet für SHN sein NHL Netzwerk.