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Einige Sekunden zwischen Himmel und Hölle: Das Overtime Tor in Spiel 5 der ersten Playoff-Runde in Toronto – erzielt im Breakaway, ausgerechnet durch das neu formierte „Baby Duo“ Nick Suzuki/Cole Caufield – rettete Habs General Manager Marc Bergevin den Job.

Was danach folgte, glich einer Cinderella-Playoff-Story, die sich bis in den Stanley-Cup-Final fortsetzte. Und nun darf sich der arg kritisierte Bergevin als Held feiern lassen, die nächsten grossen Herausforderungen der kommenden Wochen angehen. Er muss den Arbeitsplatz an der Avenue des Canadiens nicht räumen.

Bei einem Ausscheiden in Runde Eins der Playoffs, hätte man nach vielen Jahren der Vision von Marc Bergevin nicht mehr folgen können. Er hätte wohl seinen Job verloren und es wäre bezüglich seiner zwischenzeitlichen Erfolge und durchaus auch nachweislichen Misserfolge ein beim Schlussfazit seiner neunjährigen Amtszeit ambivalenter Nachgeschmack geblieben. Aber: Dieses eine Overtime-Tor in Toronto am 27. Mai 2021 nach 59 Sekunden änderte alles. Das Spiel 6 war dann das erste der Saison in Kanada vor Fans (zunächst maximal 2500, danach 3500 im riesigen Centre Bell), ein echter „Boost“ für das Team und der Startschuss zu einer tollen Playoff-Serie. In Montréal und der gesamten Provinz Québec löste diese Begeisterung und Strassenfeste aus.

Im Übrigen bedeutete dieser „Swing Moment“ in den Playoffs wahrscheinlich auch die Rettung des Jobs von Dominique Ducharme. Auch dieser war in Gefahr. Obwohl er als Nachfolger des Ende Februar 2021 entlassenen Claude Julien gute Arbeit geleistet hatte.

Grosse Erleichterung – Die Glaubwürdigkeit ist zurück

Es war Marc Bergevin jeweils anzusehen, unter welchem Druck er stand und wie ihn die Playoff-Siege seiner Mannschaft berührten. Es ging nämlich vor allem um seine Glaubwürdigkeit. Immer wieder sprach er von einem „Reset“ in der Kaderbildung, vom Aufbau einer Truppe, in welcher es Leadership gäbe. Die Schlüsselspieler Carey Price und Brendan Gallagher erhielten langfristige lukrative Verträge. Im Sommer 2020 holte er mit einigen namhaften Verpflichtungen zum grossen Coup aus (Toffoli, Edmundson, Anderson, Allen...), welche den Salary-Cap belasteten. Junge Spieler wurden integriert (Romanov, Evans, später dann Caufield). Die Devise war klar: Keine Ausreden mehr –nur noch der Erfolg zählt. Und Bergevin sollte nicht mehr an seinen Visionen und Plänen gemessen werden (Fünfjahresplan, um eine Mannschaft reif für den Stanley Cup zu formen), sondern nur noch nach dem sportlichen Output.

Wichtige Dossiers und grosse strategische Herausforderungen

Jetzt stehen die nächsten Herausforderungen an: Die Habs haben jetzt und vor allem in einem bis zwei Jahren ein echtes Salary Cap-Problem, wenn Nick Suzuki und Jesperi Kotkaniemi an den Verhandlungstisch kommen. Die Vertragsverhandlungen mit den Playoff-Helden Phillip Danault, Joel Armia und Corey Perry stehen jetzt an. Man will eigentlich diese Spieler halten. Aufgrund der Lohnobergrenze wird dieses Unterfangen aber schwierig. Tomas Tatars Tage in Montreal scheinen indessen gezählt. Auch ist noch unklar, was mit Eric Staal sein wird. Und was ist mit dem Königstransfer 2017/18 - Jonathan Drouin? Er kam im Tauschgeschäft mit Tampa für Mikhail Sergachev. Drouin ist der Stürmer mit dem zweithöchsten Salär, aber seit April 2021 aus persönlichen Gründen in einem Sabbatical. Das sind also eine Menge Herausforderungen, die den General Manager nicht zu Ruhe kommen lassen werden.

Ausserdem steht der Expansion-Draft an, bei welchem auch die Canadiens de Montréal einige ihrer wichtigsten Spieler nicht werden schützen können. Man stelle sich vor, Seattle würde einen der nicht geschützten Verteidiger aus den Top 4 auswählen. Der Einzige, den man aktuell ganz sicher schützen würde, ist Jeff Petry. Aber was ist mit Ben Chiarot, Joel Edmundson und Shea Weber? Ersterer kommt wohl auf die Expansion-Draft-Liste. Edmundson besitzt einen langjährigen Vertrag und könnte daher eventuell auch geschützt werden. Selbst bei Shea Weber existiert der Hintergedanke, dass man ihn aus Gründen des Salary Cap dem Expansion-Draft aussetzt oder mit Seattle Kraken einen Deal aushandelt. Unter den Gefährdeten wären auch Backup Keeper Jake Allen, Verteidiger Brett Kulak sowie die Stürmer Paul Byron, Artturi Lehkonen, Jake Evans, Jonathan Drouin oder vielleicht auch Joel Armia, sollte er einen neuen Vertrag bekommen. Glücklicherweise sind die meisten der jungen Stars der Habs regeltechnisch noch geschützt. Nicht auszuschliessen sind bilaterale Deals mit Seattle. Vor drei Jahren hatten die Vegas Golden Knights einige solcher bilateralen Deals mit diversen Clubs zu ihrem Vorteil umsetzen können.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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