NHL Observer

Es sagte mal der Ex-Fussballstar und „Philosoph“ Andreas Brehme in seiner eloquenten Art: „Haste Scheisse am Fuss, haste Scheisse am Fuss.“ Damit wollte er wohl dezent darauf hinweisen, dass ein Unglück nicht selten allein kommt weiteres Ungemach provozieren kann. Man spricht da auch gerne von Murphy's Law. Und genau diesem Phänomen sind die Canadiens de Montréal diese Saison scheinbar ausgeliefert.

Vor einigen Wochen schrieben wir an dieser Stelle bereits schon über die Zusammenhänge, warum die Canadiens de Montréal sich sportlich auf einer Achterbahn befinden: Murphy's Law in Montréal.
Und es passieren weiterhin wöchentlich zusätzlich neue Dinge, die eine Etablierung einer Leistungskonstanz behindern. Es herrscht also noch immer „Murphy's Law“ in Montréal – nach wie vor. Die Zusammenfassung der bisherigen Saison der Montréal Canadiens liest sich wie das Logbuch der Titanic oder wie ein Skript für einen Katastrophenfilm.

Und dann auch das noch: Kaum haben sich die „Habs“ trotz einer Vielzahl fehlender Leistungsträger leistungsmässig wieder sortiert, kam bereits das nächste Unglück. Denn nun ist auch Jake Allen wegen eines Zusammenpralls mit Detroits Dylan Larkin im Samstagsspiel verletzt worden und die „Habs“ haben auf dem Torhüterposten jetzt sogar ein noch verschärfteres Problem. Da aus bekannten Gründen bereits Playoffheld und Franchise-Spieler Carey Price sich vor Saisonstart verletzt meldete und danach sich aufgrund seines Konsums von Substanzen freiwillig in das NHL/NHLPA-Spielerhilfeprogramm begab, auch noch einige Wochen fehlen wird, mussten auf einmal Samuel Montembault und Cayden Primeau die Stellung halten. „Haste Scheisse an den Kufen, haste Scheisse an den Kufen“, kann man dies frei nach Andi Brehme kurz und bündig zusammenfassen.

Hinter der Fassade von Carey Price

Das erhöht den Druck. Denn Carey Price wird so rasch nicht einspringen können. Die Dinge seien an einem Punkt angelangt, an dem Price klar wurde, dass die mentale Gesundheit für ihn und seine Familie Vorrang hatte. „Wir ermutigen unsere Kinder dazu, um Hilfe zu bitten, wenn man sie braucht. Und das war es, was ich tun musste", sagte er. Wann er wieder mental bereit ist, zur Teamstütze im Tor zu werden, sei noch ungewiss. Aber er bereitet sich wieder im Umfeld des Teams vor, meistens noch in Einzeltrainings. Fachleute in seinem unmittelbaren Umfeld sagen, dass der Leistungsdruck ihn stark belastet habe, er aber dies jeweils zu meistern im Stande war. Immerhin konnte Price ja auch mehrfach mit diesem Druck umgehen – zum Beispiel an den Olympischen Spielen, als er 2014 Gold holte mit Kanada. Was man hinter der Fassade jedoch nicht sah, war wohl der Konsum der diversen kleinen „Helferlein“ zur vermeintlichen Beruhigung. Seine Ehrlichkeit wird geschätzt und man kann jetzt noch stärker seine Leistungen in den Playoffs 2020 und 2021 würdigen.

Disruption total: Das Gleichgewicht ist durcheinander geraten

Dies – und noch einige Sachen mehr, die in der Saisonvorbereitung dazu kamen (die nicht gekonterte „Hostile Offer“ für Kotkaniemi von Carolina zum Beispiel) – brachte das sportliche und atmosphärische Gleichgewicht durcheinander. Mittel- oder gar langfristig fehl(t)en im Kader bisher die beiden Stammkeeper, Joel Edmundson, Paul Byron, Mike Hoffman, Cédric Paquette, Mathieu Perreault, Jonathan Drouin und natürlich Shea Weber. Der Musterprofi und (Noch-) Captain war nun zuletzt sogar Bestandteil einer kleinen Polemik, weil er – mit Ausnahme einer Kurzvisite beim Team beim Auswärtsspiel in Seattle – sich in dieser sportlichen und atmosphärischen Krise nicht so stark einbringe.

Exemplarisch für die sportliche Krise stehen ausserdem noch einige Namen, insbesondere deren zwei: Jeff Petry und Cole Caufield. Petry sollte eigentlich der unumstrittene Chef in der Defensive sein. Aber er befindet sich, gesundheitlich zudem leicht angeschlagen, in einem beispiellosen Leistungsloch. Der begnadete Offensivverteidiger hadert mit sich und seine Körpersprache ist derzeit unterirdisch. Cole Caufield seinerseits war der designierte Favorit für die Calder Trophy 2022. Nach rund zehn Partien ohne Torerfolg holt er sich seit rund einer Woche in der AHL bei den Rockets de Laval sein Selbstvertrauen zurück.

In den letzten Partien sah man jedoch Tendenzen, die optimistisch stimmen: Nick Suzuki etabliert sich als Center Nummer Eins und der Defensiv-Back Ben Chiarot entdeckt seine offensive Ader. Das Team spielt konstanter und endlich nehmen auch einige Teamleader leistungsmässig etwas Fahrt auf.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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