NHL Observer

Nach der Zulassung der Helmwerbung 2020 folgt nun auf die Saison 2022/23 die Trikotwerbung. Es war absehbar, dass es soweit kommen würde: Die Trikotwerbung auf einer (noch) relativ kleinen Fläche auf Brusthöhe auf den Jerseys ist eingeführt. Mit der Zulassung der Helmwerbung in der NHL 2020 wurde aber bereits die „Büchse der Pandora“ für neue Vermarktungsmöglichkeiten geöffnet.

Bisher war die Trikotwerbung in den nordamerikanischen Profiligen (Ausnahme: MLS) ein absolutes Tabuthema. Doch seit Ausbruch der Corona-Pandemie fielen viele flankierende, marketingrelevante Einnahmequellen aus und Marketingmassnahmen waren nur beschränkt umsetzbar. Man erkannte, dass die NHL – aus philosophischen und traditionellen Gründen - Umsatz verschenkt und versuchte das NHL-Publikum ganz behutsam an den Gedanken zu gewöhnen, dass bald auf ihren Fan-Trikots ein Werbeträger zu sehen sein wird. Für viele Puristen ein Tabubruch. Zum Glück ist die Werbefläche normiert auf rund 7.6 auf 8.9 Zentimetern. Dennoch: Für viele Fans ist und bleibt es ein Tabubruch sondergleichen und die Angst geht um, dass die Büchse der Pandora nunmehr geöffnet wurde. Die Meinungen, vor allem in Kanada, sind sehr gespalten. Einerseits versteht man die Intentionen, andererseits ist auch bekannt, dass man mit den bisherigen Einnahmequellen und Marketingmassnahmen vor 2020 gut wirtschaften konnte und die Wertschöpfungsketten funktionierten.

Ein Paradigmenwechsel – auch für die Fans

Aber: Die Auswertungen der Einnahmen aus der ebenfalls erstmals zugelassenen Helmwerbung 2020/21 ergab, dass diese Werbeflächen den NHL-Clubs insgesamt über 100 Millionen Dollar eingebracht haben. Nun aber ist eine Werbefläche auf den Trikots den puristischen Fans ungleich heikler zu vermitteln. Denn hier geht es darum, dass in Nordamerika die Fans sich nicht gewohnt sind, als freiwillige wandelnde Werbesäulen zu fungieren. Besonders mit Hinblick, dass die Trikots bezüglich Qualität besser und auch im Preis gegenüber jenen aus Europa höher sind. Besonders bei den Clubs, die so oder so in ihrer eigenen Vermarktungsstrategie sehr stark sind und sehr viele flankierende Einnahmen generieren (zum Beispiel die Toronto Maple Leafs, New York Rangers oder Canadiens de Montréal) wird die Kasse klingeln. Diese Clubs werden mit ihrer Reichweite und dem hohen Affinitätsquotienten in ihren Märkten und Zielgruppen ein Top-Pricing etablieren können. Und die Interessenten werden Schlange stehen und sich gegenseitig überbieten.

Weder in der National Football League noch der Major League Baseball dürfen die Clubs an ihren Trikots die Logos von Werbepartnern anbringen. Einzig die NBA-Teams können seit 2017 einen kleinen Bereich der Jerseys für eine Werbefläche anbieten. In der National Basketball Association sind Sponsorenflächen auf den Trikots seit 2017/18 fixer Bestandteil – seit damals hat dies für einen Gewinn von 150 Millionen US Dollar gesorgt.

Die Diskussion um die Trikotwerbung in der NHL ist nicht ganz neu und auch nicht erst seit Pandemieausbruch virulent. Das (Tabu-)Thema wurde aber sehr vorsichtig diskutiert. Aber: In der Saison 2019/20 fehlten viele direkte und indirekte, flankierende Einnahmen in der Wertschöpfungskette innerhalb und ausserhalb der Stadien wegen des geringeren oder gar ganz fehlenden Zuschaueraufkommens. Es mussten neue Wege gefunden werden, die Umsätze einigermassen auf einem hohen Niveau zu halten. Die Umsätze rund um den Spielbetrieb sind zudem nicht nur linear, sondern auch exponentiell je nach Saisonverläufe der einzelnen Clubs. Gewiss, die Einschaltquoten am TV sind insbesondere in Kanada hoch und die Werbeeinnahmen ebenso. Auch gilt nach wie vor der TV-Rechte-Rahmenvertrag (Beiträge fliessen natürlich im Verhältnis der geringeren Anzahl Spiele). Immerhin: Speziell einige Teams in Kanada haben nach wie vor eine ausgezeichnete Eigenvermarktung und setzen viel um über spezielle Media-Verträge mit regionalen TV-Stationen und Verlagsunternehmen und andere Distributoren.

Disruption oder Tabubruch?

Nun hat man sich neuen Möglichkeiten zugewandt, um Einkünfte zu generieren, die bei uns in Europa schon seit Jahrzehnten üblich sind, aber für die NHL eher in Richtung Paradigmenwechsel gehen: Es fing schon damit an, dass bei den Divisionen für die Pandemie-Saison 2020/21 jeweils ein Hauptsponsor (Titelsponsoring) – so wie die Ligen in Europa – benannt wurde. Dann kam, wie bereits erwähnt, das Helmsponsoring. Tatsache ist: Es findet aktuell eine Disruption statt, die vor zwei Jahren durch die Covid-Pandemie beschleunigt wurde. Der Paradigmenwechsel wurde zu einem Eingangstor, um mittelfristig neues Geld in die Liga spülen. Es ist erwiesen und in der Historie der Marketingentwicklung mehrfach dokumentiert, dass wenn einmal der Spalt in der Tür für neue Werbemassnahmen geöffnet wird, die Massnahmen sich relativ schnell etablieren und selbst die Puristen und Gegner ebendieser sich daran gewöhnen.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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Was passiert hinter den Kulissen der NHL und was steckt hinter den Geschichten, die uns bewegen? NHL Insider Joël Ch. Wuethrich öffnet für SHN sein NHL Netzwerk.