NHL Observer

Die Ovationen, die Carey Price beim Eröffnungsspiel im Centre Bell geniessen durfte, waren für den sensiblen Goalie und Familienmenschen eine Wohltat und er musste so manche Träne unterdrücken. Es war wie eine Würdigung seiner Karriere, deren Ende naht und gewissermassen ein Prolog zu dem, was folgen sollte.

Die Pressekonferenz in Montréal mit Carey Price - zwei Wochen nach dem Saisonstart 2022 - liess tief blicken, wie es mit dem ehemaligen Franchise-Player der Canadiens de Montréal weitergehen wird: Unaufgeregt wie immer, hat Carey Price detailliert über seinen Gesundheitszustand informiert. Und diese Informationen hatten es in sich. Zusammengefasst kann man bilanzieren, dass die Chancen auf ein Comeback auf ein Minimum gesunken sind. Denn jetzt ist klar, dass die Hüft- und vor allem die Knieprobleme zu den für Goalies kompliziertesten gehören. „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, aber ich muss realistisch sein. Die Chancen, dass es jemals wieder so wird wie früher, sind gesunken“, sagte er vor den Medien. Dass er nicht gleich zurücktritt, hat einige Gründe – auch wirtschaftliche und versicherungstechnische. Aber sollte es bis zum Ende der Saison 2022/23 nicht signifikant besser werden, wird er wohl seinen Rücktritt verkünden, schätzen die Insider/innen. Sein Jahreslohn von über 10 Millionen belastet im Übrigen die Gehaltsobergrenze der Habs nicht, da er auf der Longtime Injury List steht.

Die spezielle Aura von Carey Price

Carey Price war und ist keiner, der die Eishockeygemeinschaft kalt liess. Es gibt Torhüter, die haben keine Stanley-Cup-Erfolge vorzuweisen, aber dennoch prägten sie eine ganze Generation von Goalies und haben eine ganze Fan-Community begeistert: Carey Price ist wohl einer dieser Keeper, welcher mit seiner Persönlichkeit – so speziell diese für Aussenstehende auch zuweilen sein mag – eine gesamte Fangemeinschaft in seinen Bann zog. In der unmittelbaren Gemeinschaft galt er nie als kauzig oder übertrieben schüchtern. Er baute aber mit seiner Zurückhaltung gegenüber jenen, die ihm nicht nahe standen, eine Schutzzone. Nur wenige konnten sich so fokussiert auf ihren Job konzentrieren wie Price.

Viele Erfolge, aber kein Stanley-Cup-Ring

Carey Price holte sich viele NHL-Einzeltrophäen. Besonders jene drei im Jahr 2015, als er die Hart Memorial Trophy, die Vezina Trophy und den Ted Lindsay Award gewann. Seine grössten Mannschaftserfolge waren der Gewinn der Calder Trophy 2007 mit den Hamilton Bulldogs, wo er als bester Goalie und Playoff-MVP ausgezeichnet wurde. Zuvor wurde er U18-Weltmeister mit Kanada. 2007 war er bester Goalie und im All Star-Team der U20-Weltmeisterschaft. Auf Profiebene folgten 2014 die Goldmedaille bei den Olympischen Winterspielen (bester Torhüter) und der Sieg 2016 im World Cup of Hockey. Was ihm jedoch in seinem Palmarès fehlt, ist der Stanley-Cup-Erfolg. Diesen hatte er zweimal in Griffweite. Besonders 2021, als man erst in den Finalspielen gegen Tampa Bay beim memorablen Playoff-Run gestoppt werden konnte. Heiss diskutiert wird in Montréal bereits, ob seine Nummer 31 unters Stadiondach gezogen werden soll. Die Meinungen sind gespalten, hat er doch sportlich Grosses geleistet, aber das Team nicht zu einem Stanley-Cup-Sieg führen können, wie die anderen Habs-Ikonen, denen diese Ehre zuteil wurde.

Technisch der Beste seiner Generation

Carey Price war seiner Zeit irgendwie voraus: Technisch ganz bestimmt, wie viele Fachleute attestieren. So auch Stéphane Waite, eine Ikone unter den Goalietrainern, arbeitete jahrelang mit dem scheuen und unaufgeregten Ausnahmeathleten, der eine ganz besondere Aura verbreitet. So sagte er beim Sportsender RDS, dass der Perfektionist Price „der technisch wohl beste Goalie seiner Zeit war und bis zu seiner langwierigen Verletzung nach dem Playoff-Abenteuer 2021, wo er das Team bis in den Final führte.“ Er wurde sogar als „dritter Verteidiger“ mit einem starken ersten Pass bezeichnet, weil seine Stocktechnik herausragend war. Aber: Sein Perfektionismus in der Optimierung der Technik und des Stellungsspiels erforderte eben auch extreme körperliche Fitness. Price war aufgrund seiner Spielweise und trotz sehr starkem Stellungsspiel ein athletischer Goalie und oft verletzungsanfällig. Das hatte auch mental Folgen. Er liess aufhorchen, als er 2021 preisgab, dass er mit dem regelmässigen Konsum von leichten Drogen und Alkohol versucht hatte, dem zum Teil auch selbst auferlegten Druck standzuhalten.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

NHL Observer

Was passiert hinter den Kulissen der NHL und was steckt hinter den Geschichten, die uns bewegen? NHL Insider Joël Ch. Wuethrich öffnet für SHN sein NHL Netzwerk.