NHL Observer

Am 4. Februar 2023 fand das All-Star Weekend statt. Ein sehr wichtiger Anlass für die Hauptsponsoren und für die Vermarktungsmaschine der NHL. Der Event wurde in einem neuen Format präsentiert. Die Reaktionen während und nach dem Grossevent waren mehr als ambivalent. Die Frage stellt sich: Haben die All-Star Events als Stelldichein für die Stars der Branche noch Zukunft und wenn ja, in welcher Form?

In beinahe allen grossen nordamerikanischen Sportligen werden die All-Star Events neu konzipiert. Einerseits, um die Patina des nicht wirklich zeitgemässen Formates mit dem All-Star Game und der Skill Competitions wegzukriegen. Andererseits will man neue Zielgruppen in neuen Märkten erreichen. Dass dies gemacht werden musste, ist unbestritten. Nur bewegen sich die All-Star Formate, speziell jenes der NHL, vielleicht in eine zu skurrile Richtung. Meinen zumindest viele Beobachterinnen und Beobachter.

„Das war cringe“

Zu „cringe“ auf neudeutsch sei das neue Format der Skill Competitions, sagen die einen. Die witzigen Einlagen diverser Spieler wären eher zur eigenen Belustigung entstanden und dieser Aspekt nehme Überhand. Endlich würden Humor, mehr Improvisation und Unterhaltung zum Zuge kommen sagen andere. Tatsache ist aber: Auch nach dem All-Star Event in Las Vegas 2022, wo die Revolution bezüglich All-Star Format am deutlichsten sichtbar wurde, bleibt nach der Austragung 2023 in Sunrise/Florida das ambivalente Gefühl, noch keine Zauberformel gefunden zu haben für den marketingtechnisch so wichtigen Vorzeige-Event.

Paradigmen- und Generationenwechsel in der Zielgruppenansprache

Man erlebt seit einigen Jahren einen Paradigmen- und Generationenwechsel bezüglich Zielgruppenansprache und teilnehmenden All-Star Spielern. Lange lebte das All-Star Weekend von der Strahlkraft und Aura der anwesenden Stars. Aber mit der Zeit verschwand beim Kernzielpublikum das Interesse und speziell das All-Star Game verkam zu einem reinen ambitionslosen Schaulaufen. Dabei war einst das All-Star Weekend für die NHL und deren Fans einer der Höhepunkte der Saison. Man freute sich auf den Zusammenzug der Besten der Szene und auf das Zelebrieren ihrer Hockeykunst. Seit einigen Jahren scheint es aber, dass das All-Star Weekend, einer der grossen annuellen Image-Events der NHL, beim breiten Publikum ausserhalb des Organisationsstandortes nicht mehr so populär ist. Man konnte sogar bereits beobachten, dass sogar die immer beliebten Skill Competitions nicht mehr auf das grosse Interesse stiessen wie einst. Besonders aber das All-Star Game entwickelt sich immer mehr zum Langweiler. Das Interesse der Fans bewegt sich diametral zu den Heritage- und Open Air-Events und anderen Vorzeige-Anlässen der NHL. Seitdem die Stars der Szene fast täglich dank des leicht verfügbaren Zugangs zu den Spielen (NHL Game Center und andere) in Aktion zu bewundern sind und an Olympischen Spielen die Besten der Besten gegeneinander antreten (was jedoch für die letzten beiden Spiele aufgrund unterschiedlicher Gründe nicht der Fall war) nimmt das Interesse am All-Star Weekend kontinuierlich ab. Ein echtes Problem für die NHL, ist doch der All-Star Anlass bezüglich Public Relation und Image enorm wichtig als nationale Plattform und für den Club als Gastgeber und Co-Veranstalter, für die Liga und besonders auch für ihre Sponsoren!

Werden neue Ideen zu krampfhaft eingeführt?

Der Zuschlag für die Organisation des All-Star Weekends wird immer öfter nach einem Kriterium vergeben: Die Liga möchte den Brand NHL in einem der neuen Märkte verstärken, das lokale Interesse stärken, Clubs für ein Jubiläum oder einen Stadion-Neubau belohnen und natürlich auch die Expansionsteams unterstützen. 2022 zum Beispiel war das Motto „Viva La Vegas“ und eine logische Fortsetzung der Vergabe an einen Standort, wo die NHL noch viel Vermarktungspotenzial sieht. Nach ähnlichem Muster hat man nun auch in und rund um die Heimstätte der Florida Panthers einige hybride Skills-Wettbewerbe erfunden und konzipiert. Das kam beim bestehenden Kernzielpublikum eher schlecht an, während die neuen Zielgruppen es goutierten. Besonders gespalten ist man bei den neu eingeführten Skills-Wettbewerben wie beispielsweise Hockey-Golf. Ebenfalls unterschiedlicher Meinung ist man bei den Penalty-Shootouts, die immer mehr zu einer Selbstdarstellung mit übertriebenen Kostümen oder Tricks verkommen und wo die Goalies ambitionslos als Komparsen zwischen den Pfosten stehen.

Okay, der Unterhaltungsaspekt hat nochmal an Bedeutung gewonnen, da jetzt vor allem das erweiterte Zielpublikum für die NHL begeistert werden soll. Aber: Viele wollen, dass dem All-Star Game eine gewisse Bedeutung zukommt und die Spieler ambitionierter an die Sache herangehen. Die ganz alte Formel, wonach eine All-Star Mannschaft sich gegen den amtierenden Stanley-Cup-Sieger misst, finden viele interessant.

Die NFL hat übrigens auch ihr All-Star Format revolutioniert. Eine Woche vor dem Super Bowl steigt in den USA traditionell der Pro Bowl. Die beiden NFL-Conferences, American Football Conference (AFC) und National Football Conference (NFC), duellierten sich am 05.02.2023 erstmals in der Flag-Football-Variante mit stark vereinfachten Regeln und ohne Körperkontakt um Verletzungen zu vermeiden. Dazu gab es auch hier neu viele Klamauk-Einlagen. Flag Football ist eigentlich dafür gedacht, den Einstieg in das echte American Football zu erleichtern, es wird regelmässig an amerikanischen Schulen gespielt. Auch da waren die Reaktionen der Football-Basis ziemlich ambivalent.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

NHL Observer

Was passiert hinter den Kulissen der NHL und was steckt hinter den Geschichten, die uns bewegen? NHL Insider Joël Ch. Wuethrich öffnet für SHN sein NHL Netzwerk.