NHL Observer

Die NHL-Fans waren heiss auf den Start der ersten Saison ohne Covid-Massnahmen und strömten in die NHL-Arenen. Aber nicht überall war die Stimmung dem Ereignis angemessen: In einigen Stadien glänzten die Fans mit Abwesenheit. Die Gründe sind nachvollziehbar.

Eigentlich hatte man erwartet, dass die NHL-Fans – hungrig nach den Bubble-Playoffs 2020 und der anschliessenden Post-Covid-Saison 2021 – in Scharen in die Arenen stürmen. Das war mehrheitlich der Fall – so beispielsweise in Toronto, Minnesota, Tampa, Chicago, Boston, Vegas, Nashville, beim ersten NHL-Heimspiel in der Geschichte der Seattle Kraken oder auch bei drei von bisher vier Partien in Montreal. Aber man sah auch leere, unbesetzte Ränge in Buffalo bei nur knapp über 40 Prozent Auslastung in vier Heimspielen (7'880 Fans im Schnitt) und eine Auslastung von unter 80 Prozent gab es auch in Ottawa (unter 60), in Sunrise/Florida, bei den Arizona Coyotes in Glendale und sogar in Calgary. Wo aber sind die Gründe zu suchen, warum in einigen NHL-Arenen die Fans ausbleiben?

Fehlstart und „No Shows“

Besonders erstaunt hat, dass an einem der Heimspiele der Montreal Canadiens (gegen die San José Sharks an einem Dienstagabend) knapp unter 17'000 im ansonsten immer mit über 21'000 ausverkauften Centre Bell anwesend waren. Eine Tatsache, die sich nicht nur mit dem Saison-Fehlstart der „Habs“ erklären liess. Denn es wurde festgestellt, dass manche Fans als so genannte „No Shows“ registriert wurden. Die „No Shows“ sind das Schreckgespenst aller Vereine und ein Indiz dafür, dass das Angebot nicht mehr den Ansprüchen genügt und der Aufwand an ein Spiel zu kommen als nicht attraktiv genug erachtet wird. Es geht also um Ticketinhaberinnen und -inhaber, die zwar eine Dauerkarte oder ein Ticket gekauft haben, aber nicht zu jedem Spiel pilgern. Wird eine «No-Show-Tendenz» festgestellt, müssen beim Pro-Kopf-Umsatz Abstriche gemacht werden, da die nicht Anwesenden folgerichtig nichts konsumieren. Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken, können Clubs, die es sich leisten können, jeweils einen Teil der Tickets nicht verkaufen und kurzfristig in Umlauf bringen und so die «No Shows» ausgleichen, indem man motivierte Zuschauer mit viel Potenzial für den Pro-Kopf-Umsatz ins Stadion lockt. Es ist auch ein Zeichen an die Fans, die nicht zu den glücklichen Dauerkartenbesitzer/-innen gehören. Die Botschaft: «Hey da draussen, es gibt immer eine Chance, doch noch bei diesem Premium-Event dabei sein zu können.»

Geringe Erwartungshaltung und schwache Kundenbindung

Weniger überraschend war der miserable Zuschaueraufmarsch bei den Buffalo Sabres: Sportliche, strukturelle sowie atmosphärische Krisen und eine spürbare Entfremdung einiger Mannschaftsmitglieder und der Clubführung mit der Fanbasis haben dazu geführt, dass eine geringe Erwartungshaltung entstand. Es wird von Seiten der Fans nunmehr abgewartet, was die neuformierte, junge Mannschaft leisten wird. Auch in Ottawa (der obere Zuschauersektor des Stadions wurde zeitweise nicht besetzt) ist eine abwartende Haltung merkbar, aber die Mannschaft und GM Pierre Dorion haben aufgrund ihrer auf mittelfristigen Erfolg ausgerichteten, sportlichen Strategie bei der Fanbasis in den letzten Monaten viel Boden gutgemacht, den man zuvor eingebüsst hatte. Besonders wegen einer nicht immer geschickten externen und internen Kommunikation strategischer Sachverhalte durch Besitzer Eugene Melnyk und seiner Führungscrew. Dass hingegen in Sunrise/Florida und Glendale/Arizona die über eine reguläre Saison konstante Kundenbindung zu den NHL-Clubs seit jeher leidet, ist indessen keine neue Erkenntnis.

Ansteckungsrisiken

Man weiss, dass ein kleiner Prozentsatz der NHL-Fanbasis nicht gegen Covid geimpft ist. Es ist natürlich absehbar, dass einige hundert Personen sich noch scheuen, an einem grossen Indoor-Event als Gast teilzunehmen. Bei Clubs, die in der Regel nicht ausverkauft melden oder keine lange Warteliste führen, kann sich dies bei den Zuschauerzahlen auswirken.

TV-Angebot und -Sonderdeals

Ein oft unterschätzter Faktor ist das alternative Angebot – zum Beispiel die immer aufwändiger gestalteten und sehr unterhaltsamen Sendungen am TV. Besonders durch die Sonderdeals (Übertragungsrechte und Vermarktung der Live-Partien) der Clubs und der NHL mit Turner Sports (225 Millionen pro Saison) und mit ESPN. Diese beerben NBC Sports und wollen den Fans und Sponsoren eine noch bessere Show beziehungsweise Plattform bieten als je zuvor. Auch lokale TV-Unternehmen wie beispielsweise TSN, RDS und TVA in Kanada haben weiter in den Content und in die Technik ihrer Sendungen investiert. Viele wägen so ab, ob sie vielleicht nur an ausgewählten Partien hinfahren statt zu jedem Spiel.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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