NHL Observer

Es ist nun Ende 2021 und Zeit, um jemanden zu würdigen, der viel zu oft in den Aufzählungen der Highlights des Jahres unter den Radar fällt: Als Anfang Dezember 2021 Marc-André Fleury ausgerechnet in seiner Heimatprovinz Québec im Centre Bell in Montréal gegen die Canadiens als erst dritter NHL-Keeper aller Zeiten seinen 500. NHL-Sieg erspielte, passierte Erstaunliches: Die Fans fieberten mit ihm und offeriertem dem 37-Jährigen eine emotionale Standing Ovation. Dies berührte den Mann aus Sorel/Québec sehr, denn er erlitt in diesem Stadion so manche bittere Niederlage.

Wobei... so erstaunlich war die vom Publikum so zelebrierte Wertschätzung gar nicht, denn auch als Gegenspieler bei den Pittsburgh Penguins und den Las Vegas Golden Knights blieb „Flower“ immerzu der Hexer mit dem Smiley, ein überaus sympathischer Québecois, der – egal in welcher Situation auch immer – die Sympathien auf seiner Seite zu haben scheint. „Ich dachte immer, man sieht mich hier nur als Gegner... aber diese Wertschätzung und Zuneigung des Publikums in Montréal haben mich überwältigt“, sagte Fleury mit seiner Hand auf dem Herzen nach dem Spiel und musste die Tränen zurückhalten. „Ich kenne keinen, der immer und überall so zuvorkommend, eloquent, witzig und unvoreingenommen ist, wie Marc-André. Egal, wen er vor sich hat, er zeigt seine Wertschätzung. Und er strahlt immer Witz und Optimismus aus, selbst in schwierigen Momenten seiner grossartigen Karriere“, sagen viele, die ihn kennen wie beispielsweise Guy Carbonneau und Vincent Damphousse in der populären RDS-Talksendung „L'Antichambre“. Und ja, das ist es wohl, was für immer hängen bleibt, wen sein Name fällt. Was gibt es Schöneres?

„Flower Power“ im erlauchten Kreis der Top 3

Beim 2:0-Shutout-Erfolg am 9. Dezember 2021 über die Montréal Canadiens holte der 37-jährige Kanadier – mittlerweile im Tor der Chicago Blackhawks - seinen 500. Sieg auf NHL-Niveau und ist damit erst der dritte Torhüter der NHL-Geschichte, dem dieses Kunststück gelingt. Dafür benötige Fleury 901 Spiele. Er drängt somit in den erlauchten Kreis der Top 3 ein: Martin Brodeur und Patrick Roy heissen die beiden anderen und sind wie er auch aus der Provinz Québec. Das macht die Frankokanadier besonders stolz. Mit 551 Siegen liegt nämlich Patrick Roy auf Rang 2 und angeführt wird die Top 3 im 500er Club von New Jersey Devils-Ikone Martin Brodeur, der unglaubliche 691 Spiele gewinnen konnte. So schnell wird da keiner in die Phalanx einbrechen können, denn der nächstbeste aktive Torhüter in dieser Kategorie ist der US-Amerikaner Jonathan Quick mit aktuell 341 Siegen.

Die Krönung ausgerechnet – oder eher zum Glück - in Montréal

Grossartige und schmerzhafte Erinnerungen im sportlichen Bereich hat der Witzbold (wird seit seiner Rookie-Saison von den Teamkameraden regelmässig zum witzigsten Spieler im Kader erkoren) reichlich. Besonders in den Playoffs. Sein Big Save in Spiel 7 des Stanleycupfinals 2009 bleibt unvergessen: Beim Stand von 2:1 für Pittsburgh versuchten die Red Wings kurz vor Ende des Spiels mit sechs Spielern und ohne Keeper die drohende Niederlage zu verhindern. Fleury konnte spektakulär gegen zwei Schüsse von Henrik Zetterberg und Nicklas Lidström den Sieg und somit den Stanleycup-Erfolg retten. Für „Flower“ war es der erste Gewinn der Trophäe. Danach folgten weitere – jedoch als Backup. Das war ein schmerzhafter Prozess, aber Resilienz ist eine Tugend beim Stehaufmännchen.

Gemessen an folgende Fakten muss man Marc-André Fleury ohne Zweifel ohnehin als „Mister Playoffs“ bezeichnen: Sportartübergreifend ist er mittlerweile der Rekordträger bezüglich aufeinanderfolgenden Playoff-Teilnahmen (15). Dabei gewann er drei Mal den Stanleycup (Pittsburgh) und war nur einmal in der Finalserie (2018, Las Vegas) auf der Verliererseite. Seine Leistungen in den Playoffs sind in der Regel überragend, wenn auch er manchmal im einen oder anderen Spiel gewisse Leistungsschwankungen offenlegt. Aber: „Flower“ ist, wie bereits erwähnt, ein Beispiel an Resilienz! Kaum einmal beeinflusst ihn ein schlechtes Spiel oder eine unglückliche Aktion negativ. Auch nicht, als er – mal wieder in Montreal – ein schmerzhaftes und spielentscheidendes Gegentor in der Semifinal-Playoff-Serie kassierte. Und so hat er ein kleines, mentales „Johari-Fenster“: Gegen die Canadiens de Montréal – dem Herzensclub aus seiner Jugend – hat der Québecois seit jeher auf eine unerklärliche Art Probleme. Dies ist nicht nur statistisch dokumentiert, sondern auch die einhellige Meinung bei allen Expertinnen und Experten nach jahrelanger Beobachtung und Analyse seiner Partien gegen die Habs. Viele erinnern sich an die Zweitrunden-Niederlage in den Playoffs 2010, als „Flower“ mit den hoch favorisierten Pens gegen die völlig entfesselnd aufspielen Habs nach sieben Partien ausschieden und mithören musste, wie die Fans ihm „You've been Halak-ed“ zuriefen. Jetzt hat er diese Nemesis in Montréal abgelegt.

„Flower“ ist zudem auch seit den Playoffs 2021 die Nummer 3 in der ewigen Bestenliste der Playoff-Goalies bezüglich Siege hinter Patrick Roy und Martin Brodeur und nunmehr vor Grant Fuhr. Mit 37 ist er nach wie vor athletisch auf Topniveau und seit eh und je auch mental stark. Als sein ihm sehr nahestehender Vater starb, verewigte er einen seiner Leitsprüche auf seiner Goaliemaske und schöpfte so noch mehr Kraft.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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Was passiert hinter den Kulissen der NHL und was steckt hinter den Geschichten, die uns bewegen? NHL Insider Joël Ch. Wuethrich öffnet für SHN sein NHL Netzwerk.